Margot Honecker – Der Tod eines Monsters?

Die DDR war ohne jeden Zweifel ein Unrechtsstaat. Die Unfreiheit der Bürger war nicht nur durch eine weithin sichtbare Mauer gekennzeichnet. Unsichtbare Mauern gab es auch innerhalb des weitgehend abgeschotteten kleinen Staates. Menschen unterlagen einer permanenten Kontrolle. Und dies schon von Kindesbeinen an.

Sozialistische Erziehung war nichts anderes als eine staatlich bis zur Perfektion durchorganisierte Gehirnwäsche mit dem Ziel, gleichzuschalten, jede Individualität zu unterdrücken. Selbstbestimmtheit und Selbstverwirklichung sollte es nicht geben, frei denkende Bürger galten als unsozialistisch. Man hat sie weggesperrt oder ihnen das Leben sonst wie zur Hölle gemacht.

Die DDR war eines von mehreren Ländern, die den Versuch unternahmen, eine neue Gesellschaftsform zu etablieren, eine gerechtere Gesellschaft, eine Gesellschaft, die jedem einzelnen alle Möglichkeiten eröffnen sollte. Keine soziale Unterdrückung mehr, keine Regentschaft von Eliten. Alle waren gleich. All were equal, but some were more equal than others. Leider scheiterten all diese Systeme an der gleichen Problematik: der Biologie des Homo sapiens, der instinktiv nach Hierarchien verlangt.

Besteht die Bevölkerung nun aus willenlosen Schäfchen, werden die regierenden Institutionen sogleich zu umfassenden Machtapparaten. Es entsteht eine Diktatur.

Womöglich liegt der immer wieder repetierte Fehler darin, die Begriffe Individualismus und Egoismus miteinander zu verwechseln. Dem Egoismus muss in einem fortschrittlichen Gesellschaftssystem Einhalt geboten werden, nicht der individuellen Entfaltung. Menschen sind niemals gleich, sie sind verschieden, und nur dadurch kann unsere Art überleben. Ein Prinzip, das überall im Tierreich gilt.

Die DDR ist zerfallen, weil sie verarmt war, und das nicht nur wirtschaftlich. Es fehlten die Innovationen, der technische Fortschritt stagnierte, man hinkte dem Westen hinterher. Anstatt kreative Geister aus den eigenen Reihen zu fördern, verließ man sich auf Spionage. Die DDR war in der Folge international nicht mehr wettbewerbsfähig.

Doch wen trifft die Schuld an diesem Staat, der von Anfang an eine Totgeburt gewesen ist? Um Unrecht verarbeiten zu können, wird stets eine Symbolfigur benötigt, auf die sich alles Schlechte abschieben lässt. Es ist nämlich leichter, an das einzelne Monstrum zu glauben, als die perfide Funktionsweise eines ganzen Machtapparates zu beleuchten, das aus vielen Menschen bestand. Und Menschen zeichnen sich nun einmal durch menschliche Eigenschaften aus. Im ungünstigen Falle treten dabei besonders hervor: blinder Gehorsam, bürokratische Mentalität, unangemessener Eifer und Hilflosigkeit.

Sind die, die auf der sozialen Leiter ganz oben stehen, notwendiger Weise immer die verantwortlichen Täter, wenn es um das Aufrechnen von Schuld geht?

Und von großer Schuld muss man im Zusammenhang mit der DDR in der Tat sprechen. Es geht um nichts geringeres als Mord, vielfachen Mord. Mord auch an Kindern und Heranwachsenden.

Lutz Seiler beschreibt in seinem sehr literarischen Roman „Kruso“, gedeckt durch die künstlerische Freiheit, ausführlich das Resultat des mörderischen Wahnsinns. Denn Mauern bestanden in der DDR nicht nur aus Stein, sondern auch aus Wasser. Seiler vergleicht die Überreste der Unglücklichen, die vergeblich die Flucht von Hiddensee aus versuchten und dabei elend ertranken, mit einer Maschine. Nichts erinnert nämlich mehr an eine menschliche Gestalt, wenn der Körper tage- oder wochenlang den Kräften des Meeres ausgesetzt war.

Systeme, die auf Angst und Kontrolle setzen, sind meist effizient, zumindest so lange, wie sie bestehen. Nur Wenige wagen den Widerstand, viele von ihnen finden den Tod. Für Menschlichkeit bleibt offenbar kein Platz in einer Gesellschaft, die besser sein möchte, sich selbst gar als revolutionär betrachtet.

„Die brauchten ja nicht über die Mauer zu klettern, um diese Dummheit mit dem Leben zu bezahlen,“ sagt Margot Honecker noch 2012 in einem vielbeachteten Fernsehinterview. Sie ist weit mehr als nur die Ehefrau des Generalsekretärs des ZK der SED Erich Honecker. Sie stand als Ministerin für Volksbildung von 1963-89 selbst in einer vermeintlichen Machtposition und gilt als persönlich verantwortlich für Unmenschlichkeiten wie den militärischen Drill an Schulen sowie die Zwangsadoption von Kindern, deren Eltern durch Flucht dem Einflussbereich der Staatssicherheit entkommen sind. Auch die ideologische Umerziehung „schwieriger“ Heranwachsender in sogenannten Jugendwerkhöfen soll auf ihr Konto gehen.

Die ARD-Fernsehdokumentation „Der Sturz – Honeckers Ende“ zeigt eine sture, verbitterte und leicht wirre alte Frau. Doch war sie tatsächlich einmal eine der Hauptverantwortlichen, die die DDR mit gnadenloser Härte rigoros kontrollierten? Frau Honecker hat die Schrecken des zweiten Weltkrieges und der Naziherrschaft miterlebt. Bereits als sehr junge Frau hat sie sich für ein System engagiert, das ein klarer Gegenentwurf zum Nationalsozialismus sein sollte. Wer sich mit ihrer Vita befasst, kommt nicht umhin, ihr zuzugestehen, dass sie stets von sozialistischem Idealismus beseelt war, dass sie tatsächlich aus vollem Herzen daran glaubte, eine bessere Gesellschaft mitzugestalten. An Boshaftigkeit glaube ich nicht, dann doch eher an ein Unvermögen, die Entwicklungen im Lande vielschichtig überblicken zu können. Das sagt man übrigens auch dem Generalsekretär selbst nach. Der kürzlich verstorbene Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt brachte in derselben Fernseh-Dokumentation seine Einschätzung hierzu unmissverständlich auf den Punkt. Nicht besonders intelligent sei er gewesen. Im Übrigen messe Schmidt ihm so wenig historische Bedeutung bei, dass künftige Generationen mit der Nennung seines Namens nichts mehr anzufangen wüssten.

Margot Honecker war bis ins hohe Alter eine eifrige Verfechterin des sozialistischen Gedankens. Und das kann man ihr grundsätzlich auch nicht verübeln. Mehr Sozialismus würde auch heutigen Gesellschaften gut tun. Doch im Hinblick auf die historische Vergangenheit war Honecker blind und taub. Weil Verbrecher nun einmal dazu neigen, ihre Verbrechen nicht einzugestehen? Ich vermute, dass eher intellektuelle Unpässlichkeiten zugrunde lagen. Ein Monster ist sie nicht gewesen, auch nicht die Inkarnation des Bösen. Das Böse nämlich gehört in die Welt der Fabeln und Märchen. Hexen und Dämonen gibt es nicht. Die Schuld an den Unmenschlichkeiten in der DDR tragen viele. Hierbei fungierte das Ehepaar Honecker vermutlich als Marionetten-Ensemble, das weniger wusste als man glaubt.

Im Interview konfrontiert mit den staatlich verordneten Morden durch die DDR reagiert sie störrig. Doch ein „ich bekenne mich persönlich schuldig“ hätte sicher auch nicht geholfen. Zumindest sagt sie in dem Interview auch einen Satz, der von den meisten Medien-Berichterstattern der letzten Tage gerne überhört wird.  Immerhin gesteht sie folgendes ein: „Es wurden Fehler in der Geschichte gemacht, die muss man bedauern, die kann man nicht nur bedauern, die muss man bedauern…“.