biologe

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Monat: Juli, 2016

Der Fall Petra Hinz (SPD) – eine erneute Attacke gegen die akademische Bildung in Deutschland

Die Medien überschlagen sich mit Berichten über eine Politikerin, die bis dahin kaum bekannt war. Die Bundestagsabgeordnete Petra Hinz (SPD) ist im Zuge von Mobbingvorwürfen, die durch Mitarbeiter gegen die Politikerin erhoben wurden, der Lüge im Lebenslauf überführt worden. Demnach sind erhebliche Angaben im offiziell zugänglichen, jedoch inzwischen abgeänderten Lebenslauf durch Hinz frei erfunden worden.

Von „flunkern“ ist in manchen Presseberichten in diesem Zusammenhang gutwillig zu lesen. Frau Hinz brüstet sich mit einem Abitur, über das sie nicht verfügt. Damit jedoch nicht genug. Da ein Abitur zum Hochschulstudium berechtigt, hat sie ein solches gleich mit erfunden. Zwei juristische Staatsexamina will sie zudem absolviert haben. „Flunkern“ ist etwas anderes!

Wer akademische Ausbildungen, die den seriösen Hochschul-Studenten viel Lebenskraft, Fleiß und Disziplin abverlangen, für so geringwertig einschätzt, dass er/ sie glaubt, die Arbeitsleistung einfach überspringen zu können und dennoch mit denselben Qualifikationen aufzutreten zu dürfen, der tritt das deutsche Bildungssystem mit Füßen. Hier ist nicht „geflunkert“, sondern ein Verbrechen verübt worden. Die Dame schlägt jedem lachend ins Gesicht, der jahrelang büffelt und schweißgebadet ganze Nächte durchgepaukt hat. Die Politikerin der SPD vergeht sich nicht nur an der akademischen Welt, sie hat sich vermutlich auch juristisch strafbar gemacht. Zu Unrecht behauptete Schul- und Universitätsabschlüsse sind eventuell Urkundenfälschungen, auch dann, wenn die schriftliche Fälschung von Zeugnissen nicht erfolgt ist.

Es ist den bisherigen Arbeitgebern von Frau Hinz zu unterstellen, dass bezüglich der vorgeblichen Hinz’schen Vita rigoros und vorsätzlich weg geschaut wurde. Vielleicht, weil sie in den Reihen der Abgeordneten schlicht einen Normalfall darstellt? Fehlende akademische Bildung kann man nicht übersehen. Wie soll zudem glaubhaft gemacht werden, dass der Betrügerin offenbar niemals die Vorlage von Zeugnissen auferlegt worden ist?

Die Medien berichten, dass Hinz aber dennoch ihre politische Arbeit unauffällig und tadellos verrichtet habe. Dies entspricht ja wohl offenkundig nicht der Wahrheit. Die Mobbingvorwürfe der Mitarbeiter belegen dies.

Frau Hinz wusste, wie man Karriere macht und im selben Schachzug noch gegen männliche Mitbewerber im Vorteil bleibt. Ein Hochschulstudium dauert 5-6 Jahre. Da Hinz über 50 ist, waren Männer in einer Zeit, in der die SPD-Politikerin theoretisch Studentin hätte sein können,  dem Militär- oder Zivildienst verpflichtet. Ein obligater Zivildienst als Militärdienst-Ersatz in den 1980-er und 90-er Jahren konnte bis zu 15 Monate lang dauern. Bis ein männlicher Mitbewerber von Frau Hinz dann sein Studium absolvierte und dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stand, war er etwa 28 Jahre alt. Frau Hinz als Fälscherin und Betrügerin war bei angeblich vergleichbarer Qualifikation natürlich aufgrund des Geschlechts schon jünger, aufgrund des in Wahrheit fehlenden Studiums sogar deutlich jünger, jünger als jede echte Studentin, als sie sich dem Karriereweg stellte. Kein Militär- oder Zivildienst, keine sechs Jahre Büffeln. Hier hat die Faulheit gesiegt! Auch ihr weibliches Geschlecht hat ihr womöglich in Zeiten des damals schon aufkeimenden Ultra-Feminismus starke Vorteile gegen männliche Konkurrenz eingebracht und der Dame so eine stattliche Karriere geebnet. Nun ist die Lügnerin allerdings auf die Schnauze gefallen, wie wir Berliner gerne sagen. Hoffentlich erwartet Hinz für ihren anmaßenden Betrug ein Strafverfahren.

Doch das ist eventuell eher nicht zu erwarten. Denn die Fälschung von akademischen Werdegängen hat in den derzeitigen Regierungsparteien Tradition und gilt als Kavaliersdelikt. CDU, CSU und SPD, die sich heutzutage nicht mehr voneinander unterscheiden, schaffen systematisch die seriöse Bildung ab. Förderungen für Grundlagenforschung in diversen Fachrichtungen wurden in den vergangenen Jahren drastisch gekürzt, die entsprechenden Wissenschaftszweige sind daher nun vorwiegend im Ausland beheimatet. Doch bereits die Schulbildung, einst in Deutschland von hohem Niveau, kann gemäß PISA im internationalen Vergleich nicht mehr mithalten.

Die deutsche Regierung ist an Schamlosigkeit und Unverschämtheit nicht zu überbieten. Kein Wunder, verfolgt sie doch ausschließlich Machtinteressen. Zahlreiche gefälschte Doktortitel durch Politiker der Regierungsparteien belegen auf imposante Weise, welchen Stellenwert die deutsche Regierung seriösen Akademikern, womöglich noch mit redlich erworbener Promotion (weitere 2-5 Jahre), zugesteht. Keinen! Die genannten Parteien verhöhnen inzwischen ganz allgemein jede Seriosität im Lande auf unglaubliche Weise. Wann wird dem endlich Einhalt geboten?

Die Berliner Rigaer Straße und schwere Krawalle im Juli 2016

Früher war Berlin für seine autonome Szene bekannt und geschätzt. Kreuzberg war zu Zeiten eines geteilten Landes als Refugium für Aussteiger weltberühmt. Etwa so wie die Ostseeinsel Hiddensee auf der Seite der DDR.  Links-alternative Lebensweisen sind den Regierungen in der Nach-Wendezeit jedoch zunehmend ein Dorn im Auge geworden.

Martialische Eingriffe durch gnadenlose Polizeigewalt haben daher in den vergangenen zwanzig Jahren schrittweise aufgeräumt mit einer Subkultur, die sich so schwer durch die Staatsmacht steuern und kontrollieren ließ. Besetzte Häuser, alternative Wohnprojekte, Wagenburgen, Paradiese für Selbstdenker, Idealisten, Künstler und Gesellschaftskritiker wurden gewaltsam aufgelöst, weil Freiheit und unabhängiger Geist nicht zu einem Deutschland im neuen Jahrtausend passen!

Als Relikt vergangener Zeiten ist lediglich der Kiez um die Rigaer Straße übrig geblieben, einem Viertel mit hauptsächlich alter und eher maroder Bausubstanz in Friedrichshain, in dem innovative Bars, Volksküche an wechselnden Orten und originelle Individualisten ein anderes und aus ihrer Sicht wohl auch besseres Leben führen.

Viele Kiezbewohner verfügen nicht über ein regelmäßiges Einkommen, materieller Reichtum fehlt daher, und doch sind die Menschen der Rigaer Straße reicher als manche besser bezahlte Bürokraft aus Mitte oder Charlottenburg. Unabhängigkeit und Freiheit sind nämlich nicht käuflich, sondern erfordern eine ideelle Lebenseinstellung mit Bereitschaft zum Verzicht.

Anders als gewöhnliche Wenig-Verdiener in gehobeneren Berliner Bezirken haben die Bewohner der Rigaer Straße einen meist erstaunlich strukturierten und erfüllten Alltag. Denn sie übernehmen oft zahlreiche ehrenamtliche Tätigkeiten, schließlich kann die kostenfreie Verköstigung anderer Kiezbewohner („Volksküche“) nur funktionieren, wenn eine ausgeklügelte Logistik eingehalten wird. Nicht mehr verkäufliche, jedoch noch brauchbare Lebensmittel müssen beschafft werden, jemand muss das Kochen übernehmen und die Gäste bedienen. Das alles funktioniert gut und fast immer auf ehrenamtlicher Basis. Auch die vielseitige Gastronomie ist häufig auf Hobby-Barpersonal angewiesen. Der Vorteil liegt dabei in der sozialen und antikapitalistischen Idee, von der auch Außenstehende profitieren können. Wer in der Rigaer Straße ein gepflegtes Bier trinken möchte, benötigt nicht viel Geld in der Tasche, um seinen Abend in außergewöhnlicher Atmosphäre ausklingen zu lassen.

Wie also kommt CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer auf den bösartigen Gedanken, Menschen, die selbstlos ihre sozialen Ideale leben, als „Staatsfeinde“ zu bezeichnen, die mit Härte zu behandeln seien? Kai Wegner, CDU-Generalsekretär von Berlin, kritisiert den Regierenden Bürgermeister mit den Worten: „Wer Straftäter zu Verhandlungspartnern ausruft, gibt diesen Chaoten das Gefühl, dass sie sich gegen den Staat durchsetzen könnten.“

Lassen wir die Krawalle doch erst einmal außer Acht und fragen wir uns: Wie ist eigentlich die generelle Konfliktbereitschaft seitens der Berliner Polizei und seitens der Politik gegen das alternative Viertel in Berlin zu erklären? Wann immer ich mich in den vergangenen zwanzig Jahren dort aufgehalten habe, erlebte ich eine beeindruckende Idylle. Staatsfeinde? Straftäter? Der Kiez ist, was kriminelle Handlungen anbelangt, eher unauffällig. Die Menschen haben nicht viel, aber sie brauchen auch nicht viel. Selbstversorgung ist angesagt, und ja, manche betäuben sich sicher auch gerne mal mit Drogen oder Alkohol. Doch das ist nun wirklich in allen Berliner Kiezen nichts Ungewöhnliches.

Die wirklich kriminellen Hotspots der Stadt liegen, wie jeder Berliner weiß, eher an anderen Orten der Stadt. Man will hier also durch Verteuflung der kleinen Fische von den wirklich großen der Metropole ablenken. Interessanter Weise sucht die Staatsordnung dort, wo die harte Drogenszene zuhause ist, nämlich eher niemals den Konflikt.

Warum eigentlich nicht? Weil sich die derzeitige korrupte deutsche Regierung nicht die Bohne dafür interessiert, echte Kriminalität zu bekämpfen. Die Regierung will nicht Straftäter ausschalten und die Bürger vor der Abhängigkeit von harten Drogen wie Crystal Meth schützen, sondern ist ausschließlich an ihrem Machterhalt interessiert. Straftaten darf ungehindert begehen, wer ein Mitglied einer relevanten Wählergruppe ist. Da die Berliner Polizei meist notorisch unterbesetzt ist, darf auch –  zumindest im kleineren Rahmen – Straftaten begehen, wer eine gebrochene arme Sau ist.

Wer jedoch aufgrund seiner links-alternativen Lebenseinstellung trotz Armut aufrecht und selbstbewusst bleibt, den erhebt man schnell zum Staatsfeind Nummer Eins. Denn diejenigen, die notfalls auch mit zwei bis drei Euro am Tag zurecht kommen, trotzdem glücklich sind und kraftvoll kritisch auftreten können, sind eine Bedrohung für die regierenden Parteien. Sie könnten nämlich das Sakrileg begehen, zu Wahlen anzutreten und dort ihr Kreuz an unerwünschter Stelle zu machen.

Es handelt sich um ein Klientel, das sich erfolgreich der staatlichen Selektions-Maschinerie entzieht. Denn angestrebt wird ja eine Zwei-Klassen-Gesellschaft, mit einer intellektuellen Mittel-Schicht an oberer Position und einem Bodensatz, der aus all denjenigen besteht, deren Stimme man lieber nicht vernehmen möchte. Dafür wurde Hartz-IV erfunden. Die Idee ist, unerwünschte Menschen dauerhaft am Boden festzuketten, sie zu zermürben und psychisch zu destabilisieren. Eine anspruchsvolle Aufgabe für die zahlreichen Jobcenter! Hartz-IV-ler resignieren häufig, fallen dem Alkohol anheim und verlieren jedes politische Engagement. Sie wählen meist nicht.

Die Oberschicht wählt dafür umso eifriger. Denn sie besteht hauptsächlich aus Emporkömmlingen eher niedriger Bildung. Ein Loblied auf den Staat in Form eines Wähler-Kreuzes an erwünschter Stelle ist dann zu erwarten, wenn Menschen weit über ihre Qualifikationen hinaus bezahlt werden. Da denkt sich mancher Bänker, tja, für mich hat es sich gelohnt, es beim Realschulabschluss zu belassen, manche Supermarkt-Verkäuferin verdient so viel Geld, dass sie sich nicht dafür schämen muss, eventuell den eigenen Namen nicht richtig buchstabieren zu können. Ärzte und Juristen frohlocken, denn sie gehören zu den Topverdienern bei häufig sehr bescheidenem Bildungsniveau.

Wem ist all dies unverdiente Glück zu verdanken? Natürlich der liebevollen deutschen Regierung, die ihre Schäfchen mit Geld davon abhält, zu viel kritischen Geist in ihrem Oberstübchen zu beherbergen.

Nun besitzen diese Assis aus der Rigaer doch tatsächlich die Frechheit, sich nicht in das System aus oben und unten einordnen zu wollen.

Querulanten wurden schon immer aufs Schafott gebracht. Weil sie oft andere Lebensideale verfolgen? Nein, weil sie schlicht keine kalkulierbaren Stützen des herrschenden Machtapparates sind.

Aber ich wollte ja eigentlich auf die aktuellen Ereignisse ausführlicher eingehen,  über ein spezielles Hausprojekt und Demonstrationen sprechen, dann die Krawalle verurteilen und weitere Erklärungsversuche ausbreiten. Doch ich bemerke gerade, wie lange mein Artikel schon wieder geworden ist. Im Grunde ist ja auch alles gesagt, mehr ein andermal.

 

Copyrights Stefan F. Wirth, 2016

Invasion der Gammaeule beim EM-Finale im Stade de France

 

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  Gammaeule (Autographa gamma), Bildquelle Wikipedia, nicht im Stade de France aufgenommen.

 

Im Grunde gibt es doch nichts Langweiligeres als ein Fußballspiel, das im Fernsehen übertragen wird. Doch Fußball gilt als wichtig, insbesondere dann, wenn große Meisterschaften anstehen, wie beispielsweise eine EM. Selbst die edelsten Restaurants stellen plötzlich Fernseher auf und scheren sich einen feuchten Kehricht darum, ob der Gast Fußball schauen möchte oder nicht.

Es wissen aber die Gastronomie-Betriebe auch sehr wohl, dass ohnehin nur eine Minderheit der Anwesenden ihre Abneigung gegen den Anblick grün übersättigter Fernsehbilder mit darin durchgeknallt umherzuckenden Kamikaze-Farbklecksen offen zugeben würde. Wie wild geworden hüpfen grell leuchtende T-Shirts einem Ball hinterher und entblößen dabei immer wieder mit dem Gehabe eines wütenden Orang-Utans auf GHB ihre nackten Oberkörper. So soll wenigstens auf erotische Weise die Aufmerksamkeit der Zuschauer erfolgreich zum Geschehen auf dem Rasen zurückgeführt werden. Schlägereien und Beschimpfungen unter Gästen in den Zuschauer-Tribünen werden ja regelmäßig zu Selbstzwecken und lassen das eigentliche Spiel im Hintergrund verblassen.

Schließlich sind die meisten Zuschauer auch ohnehin viel zu betrunken, um sich ernsthaft auf die sportlichen Taktik-Manöver der athletischen Elf konzentrieren zu können. Anspruchsvolle Strategien lassen sich im Alkoholrausch nun einmal prinzipiell nicht angemessen würdigen. Väterchen Alkohol blockiert stets zuverlässig alle Nervenleitungen, die für einen konstruktiven Intellekt verantwortlich sind. In der Folge dringen nur noch niedere Gefühlsregungen nach draußen, die für mich oft klingen wie ein trostlos-aggressives „Muuuh“ und „Määäh“.

Zum Glück erfordert blöder Nationalismus keine nennenswert differenzierten Abwägungen. Gelingt der richtigen Nationalfahne ein Tor, schreit man einfach „muuh“. Geht stattdessen der gegnerischen Mannschaft ein Ball ins Netz, stöhnt man hingegen missmutig „määäh“ oder schlägt wahlweise dem Nachbarn, der eine andere Fahne wedelt, aufs Maul.

Und so geht das wochenlang, Spiel für Spiel, Abend für Abend, immer wieder lautes Gekreische, paranoides Grunzen und stakkatoartig gelallte Ratschläge an die Fußballspieler, die diese nie befolgen.

Doch dann geschieht es: Beim EM-Finale am Sonntag, dem 10.07.2016, landet ein waschechtes UFO direkt vom Heimat-Planeten der Klingonen auf dem grünen Fussel-Parkett, und kleine grüne Männchen befallen das gesamte Spielfeld und tanzen auf den Köpfen der Fußball-Milliardäre einen argentinischen Tango.

Die Medien nehmen das Ganze jedoch sehr gefasst auf. Lapidar heißt es da nur: „Merkwürdige kleine grüne Dinger haben den Spielverlauf gestört. Techniker konnten sie am Ende dann doch noch erfolgreich mit einem Besen entfernen“.

Gut, ich gestehe, es ist kein UFO im Stade de France gelandet. Auch die Ausbreitung kleiner grüner Männchen war eine glatte Lüge.

Und doch ist eigentlich etwas sehr Ähnliches geschehen. Ein beeindruckendes Naturschauspiel stellt nämlich kurzerhand das alberne finale Ballgehopse in den Schatten. „Mottenplage im Stade de France“, verkündet sportschau.de, „Ekel-Alarm beim EM-Finale: Motten im Stade de France“, weiß express.de. Doch auch Spiegel Online nimmt nichts als kleine geflügelte Lästlinge zur Kenntnis und meldet: „EM-Finale in Paris: Motten stören im Stade de France“.

Schande über die dümmlich piefige Ignoranz unserer Medien. Denn der Schmetterling Autographa gamma (Noctuidae, Lepidoptera), auf Deutsch „Gammaeule“ genannt, bietet weit mehr Spektakel als etwas, das hastig mit dem Besen weggeputzt werden muss.

Die Gammaeule ist ein Wanderfalter, der aus Südeuropa kommend in nördlichere Regionen über Mitteleuropa bis nach Skandinavien ausfliegt, um dort weitere Generationen hervorzubringen. Im Herbst treten dann Teile dieser Nachkommen wieder den Rückflug an. Nur gelegentlich wird ein Massenauftreten der Falter dokumentiert, wie nun offenbar im Stade de France zu sehen. Ich vermute, dass der Falter sich noch im Süden massenhaft vermehrt hat und die daraus hervorgegangenen erwachsenen Tiere nun zeitgleich auf der Durchreise waren. Es könnte sich jedoch auch bereits um eine Folgegeneration handeln, die kürzlich im Umfeld von Paris besonders zahlreich geschlüpft ist.

Die Gammaeule gehört zu den häufigsten Faltern, die hierzulande angetroffen werden können. Dies liegt unter anderem an der flexiblen Lebensweise der Art. Denn der Schmetterling ist tag- und nachtaktiv und daher auch bei Sonnenschein regelmäßig Nektar sammelnd im Schwebeflug über Blüten zu beobachten. Bei Nacht fliegen die Tiere häufig Lichtquellen an, wie zum Beispiel im Stade de France am gestrigen Abend.

Denn Berichten zufolge war das Stadion aus Sicherheitsgründen angesichts einer möglichen Terrorgefahr auch vor dem Finalspiel schon Tag und Nacht beleuchtet worden.

Aber warum um alles in der Welt fliegen diese Schmetterlinge, bei denen es sich wirklich nicht im Mindesten um „Motten“ handelt, überhaupt bei Nacht ins Licht?

Weil sie Opfer einer Verwechslung geworden sind, lautet eine wissenschaftlich gut begründete Hypothese. Ein heller Lichtschein in der Nacht ist für ein im Dunkeln aktives Insekt nämlich immer der Mond, der einen wichtigen Beitrag zur Orientierung dieser Hexapoden leistet. Indem das Tier einen bestimmten Winkel zu dem weit entfernten und aus seiner Sicht daher unbewegten Gestirn einhält, gelingt es ihm auch bei Dunkelheit, zuverlässig geradeaus zu fliegen. Erstrahlt eine künstliche Lichtquelle heller als der Mond, wird diese vom Insekt, hier dem Falter, mit dem leuchtenden Erdtrabanten verwechselt. Es bemüht sich nun instinktiv, den üblichen Flug-Winkel zum vermeintlichen Gestirn einzunehmen, das sich allerdings unerwartet nicht im All, sondern in unmittelbarer Nähe befindet. In der Folge umkreist das Tier eine Lampe, bis es an ihr verbrennt oder nicht weit entfernt erschöpft zu Boden geht, offenkundig so geschehen im Stade de France.

Die hier vorgestellte sogenannte Navigationstheorie ist allerdings nur eine von mehreren Theorien, um den zuverlässigen Flug  nachtaktiver Insekten zu künstlichen Lichtquellen zu erklären. Sie gilt jedoch als besonders plausibel.

Biologen machen sich die Eigenart des Lichtfluges vieler Insektenarten übrigens oft gezielt zunutze, wenn es darum geht, bestimmte Arten aus Forschungsgründen einzufangen. Leuchtstoffe, die Zoologen aus wissenschaftlicher Motivation mit dem Ziel aufstellen, Insekten anzulocken, werden als „Lichtfallen“ bezeichnet.

Selbst aktiv Fußball zu spielen macht Spaß, möchte ich noch hinzufügen. Doch anderen bei der sportlichen Betätigung zuzuschauen, ist für mich eine ganz besonders perfide Folter mit dem grausamen Werkzeug der hoffnungslos grenzenlosen Langeweile. Da muss erst ein solches Naturspektakel aufkommen, um mein Interesse an den Geschehnissen der Europameisterschaft zu erwecken.

 

Copyrights für den Text: Stefan F. Wirth, 2016.

Das Zeitalter des Menschen – Homo sapiens im Konflikt mit seiner Umwelt im Anthropozän

blue blossom signiert

 

Der Mensch kontrolliert zunehmend seinen Planeten. Ist es daher richtig, ihm namentlich ein neues geologisches Zeitalter zu widmen? Das gut lesbare Buch „Die Welt im Anthropozän“ gibt hierauf Antworten, beleuchtet darüber hinaus aber auch, welche Verantwortung dem Menschen für die Gestaltung seiner eigenen Zukunft obliegt.

Der übergeordnete erdgeschichtliche Zeitabschnitt, in dem wir uns jetzt gerade befinden, ist das Quartär. Es handelt sich dabei um ein vergleichsweise lächerlich kurzes Zeitalter, das „erst“ vor etwa 2,6 Millionen Jahren begann. In seinem Verlauf vollzogen sich Änderungen an der Erdoberfläche, die gemessen an allen vorausgehenden Ereignissen auf der Erde seit ihrer Entstehung vor etwa 4,6 Milliarden Jahren allenfalls graduell sind.

Und doch ist innerhalb des Quartärs etwas geschehen, das für ein künftiges Fortbestehen der Erde von immenser Bedeutung sein wird: Die Evolution des intellektuell begabten modernen Menschen, ausgehend von urtümlicheren Vertretern der Gattung Homo.

Es ist wissenschaftlich gesichert, dass sich wesentliche Abschnitte der Menschwerdung in Afrika zugetragen haben. Hierzu gehört die Evolution des aufrechten Ganges, aber vor allem auch die nachfolgende Vergrößerung der Großhirnrinde, die in die Zeit des Quartärs fällt. Erst mit frühen Vertretern der Gattung Homo haben Ausbreitungsereignisse auf den eurasischen Kontinent und in der Folge auch auf andere Kontinente stattgefunden.

Ein bedeutender Teil der Evolution des Menschen ist mit dem Quartär in eine äußerst wechselhafte Zeitperiode gefallen. Die Besonderheit des Quartärs besteht nämlich darin, dass Kalt- und Warmzeiten einander immer wieder abwechselten. Was für widrige Umstände für das Leben früher Hominiden, mag sich der Leser jetzt denken, doch aus evolutionsbiologischer Sicht ist dem keineswegs so. Denn je unsteter die Umweltbedingungen sind, desto leichter werden Artbildungsprozesse in Gang gesetzt. Nur so konnten wir in unserer heutigen Form evolvieren. Insbesondere die Existenz eiszeitlicher Gletscher ist für sogenannte allopatrische Artneuentstehungen sehr bedeutsam, denn sie fungierten nachweislich für zahlreiche Tiergruppen als nicht überwindbare Barrieren, so dass die Evolution neuer Arten begünstigt wurde. Die späte Evolution des Menschen war also geprägt durch diese starken globalen klimatischen Veränderungen.

Heute trägt der Mensch erheblich selbst zur Entstehung des Klimas auf der Erde und dem Fortbestand ihrer Artenvielfalt bei. Und zwar in einer Effizienz, zu der vor ihm kein einziger tierischer Erdenbewohner jemals imstande war.

Doch ist die besondere Einwirkung des modernen Menschen auf das Weltklima auch dazu geeignet, von den üblichen Kriterien zur Benennung von Erdzeitabschnitten abzuweichen und das neueste Zeitalter nach dem Menschen selbst zu benennen? Sind die Auswirkungen menschlicher Aktivität auf das Weltklima tatsächlich mit gravierenden geologischen Veränderungen der Erde gleichzusetzen, die üblicher Weise zur Benennung von Erdzeitaltern herangezogen werden? Ist also die Einführung eines Zeitalters namens Anthropozän gerechtfertigt? Eine Frage, die keineswegs erst infolge einer aktuell nachweisbaren und scheinbar durch den Menschen hervorgerufenen Klimaerwärmung laut wird. Der Zoologe und Philosoph Ernst Haeckel äußert sich bereits 1870 weitsichtig und realistisch: „Aus diesem Grunde…können wir mit vollem Rechte die Ausbreitung des Menschen mit seiner Cultur als Beginn eines besonderen letzten Hauptabschnitts der organischen Erdgeschichte bezeichnen.“

In dem Buch „Die Welt im Anthropozän, Erkundungen im Spannungsfeld zwischen Ökologie und Humanität“ der Herausgeber Wolfgang Haber, Martin Held und Markus Vogt wird die historische Entwicklung des Begriffes „Anthropozän“ zusammengefasst. Namhafte Geistes- und Naturwissenschaftler diskutieren darüberhinaus, wie der Mensch am besten seine Verantwortung für die Zukunft der Erde wahrnehmen kann.

Dass der moderne Mensch heutzutage starken Einfluss auf das Weltklima ausübt und dadurch erheblich an einer Klimaerwärmung und dem damit verbundenen Aussterben von Arten verantwortlich sei, ist ein breiter Konsens unter vielen zeitgenössischen Wissenschaftlern. In den 1980er Jahren hat der Biologe Eugene F. Stoermer aus diesem Grunde bereits den Begriff Anthropozän in seinen Veröffentlichungen verwendet. Der Erdsystem-Forscher Paul J. Crutzen rät in einer Publikation aus dem Jahre 2000 ergänzend, das derzeitige Zeitalter sogar offiziell durch das Anthropozän abzulösen.

Formell befinden wir uns derzeit jedoch noch immer im jüngsten Zeitabschnitt innerhalb des Quartärs, der als Holozän bezeichnet wird und vor etwa 11700 Jahren begann. Auch diese Periode ist nach rein geologischen Gesichtspunkten definiert worden. Sie beginnt mit dem Ende der sogenannten jüngeren Tundrenzeit, einer kürzeren Eiszeit, die auf die letzte große Kaltzeit, zu der in Nordeuropa das Weichsel-Glazial gezählt wird, folgte.

Der Beginn des Holozäns wird mit einer nachweisbaren ungewöhnlich schnellen Wiedererwärmung nach der Tundrenzeit begründet. Als Beleg hierfür dient ein Eisbohrkern aus fast 1500 m Tiefe, der in Form seiner Isotopenchemie aufzeigt, dass sich eine merkliche Klimaerwärmung zu jener Zeit innerhalb von wenigen Jahren vollzogen haben muss. Er wird in Kopenhagen aufbewahrt.

Doch wie könnte es gelingen, möglichst präzise den Beginn eines neuen Zeitalters festzulegen, das eben nicht aufgrund rein geologischer Abläufe, sondern nach der Aktivität einer besonderen Tierart, nämlich dem Menschen, benannt werden soll? Hierüber herrscht noch Uneinigkeit, wie dem Buch „Die Welt im Anthropozän“ zu entnehmen ist. Forscher haben schon den Beginn der industriellen Revolution, aber auch die große Akzeleration um 1950 als möglichen Startpunkt des Anthropozäns vorgeschlagen, jedoch sogar ganz konkret auch den 16. Juli 1945 (den Tag des ersten Atombombentestversuchs).

Um den Begriff des Anthropozäns aber letztlich erfolgreich als offizielles Erdzeitalter etablieren zu können, ist vor allem auch eines wichtig: der Nachweis, dass der moderne Mensch inzwischen tatsächlich die Hauptverantwortung für die aktuell einsetzende Klimaerwärmung und ein damit einhergehendes Aussterben von Arten trägt. Hierzu kann allein die naturwissenschaftliche Forschung beitragen, während es die Aufgabe der Geisteswissenschaften ist, sich mit ethischen Gesichtspunkten im Umgang des Menschen mit seiner Umwelt auseinanderzusetzen.

Es ist unter Wissenschaftlern durchaus umstritten, ob die derzeitige weltweite Klimaerwärmung vollständig oder zumindest zu einem beträchtlichen Teil auf menschliche Aktivitäten, so etwa seine hohen CO2-Emissionen, zurückgeführt werden kann. Denn seit Anbeginn des Quartärs hat sich das Klima nach Kaltzeiten immer wieder aufs Neue erwärmt, und zwar zunächst völlig ohne Zutun des Homo sapiens.

In dem Kapitel „Der Mensch und das Anthropozän – Hat das sechste Massenaussterben bereits begonnen?“ widmet sich der Evolutionsbiologe und Pflanzenphysiologe Ulrich Kutschera der Frage, ob Klimaveränderung und ein aktuelles Aussterben von Arten mit menschlichen Aktivitäten korrelieren. Ist der Mensch sogar imstande, künftig ein neues Massenaussterben von Arten zu verursachen? Unter anderem legt der Autor bezugnehmend auf seine eigene Forschung dar, dass sehr aktuelle Aussterbeereignisse überhaupt nachweisbar seien. Allerdings präsentiert der Autor lediglich zwei Fall-Beispiele. Wir erfahren leider nicht, ob es ein bloßer persönlicher Eindruck des Forschers ist, diese Tiere seien im Vorkommen seltener geworden oder ob repräsentative wissenschaftliche Studien zugrunde liegen. So ist der Europäische Landegel (Xerobdella lecomptei), eine kälteliebende und ohnehin seltene Art aus der Gruppe der Ringelwürmer, in seinem ursprünglichen Lebensraum kaum mehr anzutreffen. Die Klimaerwärmung brachte gemäß Kutscheras Forschungserkenntnissen aber auch einen Vertreter einer ganz anderen Tiergruppe an den Rand des Aussterbens. Der kalifornische Baumsalamander (Aneides lugubris) wird nämlich zunehmend seltener, da die zu seiner Brutpflege benötigten feuchten Baumhöhlen aufgrund anhaltender Trockenheit kaum mehr zur Verfügung stehen.

Der Autor legt einen Zusammenhang mit modernen Aussterbeereignissen und der Technologisierung des Menschen nahe. Insbesondere das Treibhausgas Kohlendioxid, das seit Jahrzehnten in großer Menge, zum Beispiel durch die Automobilindustrie, ausgeschieden wird, habe eine erhebliche Mitschuld an der globalen Klimaerwärmung. Der Zusammenhang wird jedoch mit keinem Wort nachvollziehbar begründet. Der Leser muss sich also mit einer Behauptung zufrieden geben. Der Begriff des katastrophenartigen Massenaussterbens von Arten kann übrigens auf den französischen Naturforscher Georges Cuvier (1769-1832) zurückgeführt werden, der anhand wechselnder Artenzusammensetzungen in Sedimentschichten Katastrophentheorien aufstellte. Kutschera stellt uns nun eine weitere Aussterbe-Katastrophe in Aussicht, die womöglich allein durch den Homo sapiens verschuldet wäre. Aufgrund ihrer extremen Anpassungsfähigkeit sei dann zu erwarten, dass fast ausschließlich Bakterien unbeschadet aus einem solchen Szenario hervorgingen.

Schon jetzt, so berichtet der Anthropologe Volker Sommer, seien nicht nur Avertebraten und urtümliche Wirbeltiere, sondern auch verschiedenste Affenarten ernsthaft in ihrem Fortbestehen bedroht,  also des Menschen nächste Verwandtschaft. Wilderei, aber vor allem auch die Nutzbarmachung vormals naturbelassener Landschaften, lassen den Lebensraum der Affen-Arten zunehmend schrumpfen. In der Folge werden wohl ganze Primatengruppen die Zukunft unseres Planeten nicht mehr erleben können.

Doch das Buch hegt den Anspruch, nicht nur düstere Prognosen für die Zukunft unserer Umwelt zu stellen und die Definition eines neuen Zeitalters zu diskutieren. Es geht auch um die Frage, wie der Mensch seiner besonderen Verantwortung gegenüber der Welt, in der er lebt, gerecht werden kann und sollte. So befasst sich die Wissenschaftlerin Ute Eser mit dem Konflikt zwischen Humanität und Natur. Die Forscherin, die einen Tätigkeitsschwerpunkt auf den Bereich der Umweltethik legt, wendet die Frage „guten und richtigen Handelns unter gegebenen Bedingungen und Handlungsmöglichkeiten…auf die Haltungen von Personen und Institutionen“ (Definition der Ethik nach Mieth 1995) auf den Umgang des Menschen mit seiner Umwelt an. Sie betont, dass es eine unzulässige Vereinfachung sei, in der Existenz einer ständig anwachsenden Weltbevölkerung, nichts anderes als eine „Krankheit“, vergleichbar einem „Krebsgeschwür“, zu sehen. Stattdessen sei ein „inklusives Verständnis von Menschsein“ notwendig, das die Spannung zwischen den Polen aushalten solle, „statt sie einseitig zugunsten einer Seite aufzulösen“. So gehe es nicht darum, ein negatives Menschenbild aufrecht zu erhalten, sondern die Vor- und Nachteile aus der Nutzung der Natur weltweit gerechter an die gesamte Weltbevölkerung zu verteilen und dabei eine emotionale Naturverbundenheit zu entwickeln.

Ethische Aspekte verfolgen auch die Theologen Markus Vogt, Wolfgang Schürger und Hans Jürgen Münk. Vogt betont den Begriff der Humanökologie, der zufolge die Beziehungen des Menschen zu seiner natürlichen Umwelt einerseits und zu seiner kulturellen Umwelt andererseits konsequenter miteinander zu verknüpfen seien. Schürger prägt den Begriff der „Mitgeschöpflichkeit“ und appeliert für mehr Respekt anderen Arten gegenüber. Der Schweizer Münk leitet den Begriff der „Würde der Kreatur“ als Rechtsbegriff aus dessen Geschichte als Bestandteil der schweizerischen Bundesverfassung her. Der Terminus wurde 1992 im Zusammenhang mit den Fortschritten der Gentechnologie und der Reproduktionsmedizin via Volksentscheid in einen neuen Verfassungsartikel aufgenommen. Juristisch wird die „Kreatur“ jedoch nur auf die belebte Umwelt bezogen. Daher empfiehlt der Autor die künftige Einbindung von einer „Würde der Natur“. Die formal-juristischen Ausführungen werden anschließend auch theologisch kommentiert. Dabei möchte Münk klar abgegrenzt wissen, welchen Lebewesen überhaupt Würde zukommen könne. Zu berücksichtigen sei zwar, dass in Gen1,26-28 dem Menschen immerhin eine Sonderstellung eingeräumt werde. Dessen Gemeinsamkeit mit der belebten und unbelebten Natur liege aber immerhin „im Bezug zum gleichen Schöpfer, im Merkmal der Mitgeschöpflichkeit“.

Die theologisch motivierten Kapitel lesen sich aus Sicht eines Naturwissenschaftlers und Humanisten furchtbar, und ich möchte sie daher erst gar nicht zur Lektüre empfehlen. Das Gedankengut der göttlichen Schöpfung, also der Kreationismus, hat in der Moderne, einer aufgeklärten Zeit, schlicht keinen Platz. Weder Bibelworte noch Begriffe wie „Mitgeschöpflichkeit“ sind geeignet, den sachlichen und sehr konkreten Konflikt des Menschen mit seiner Umwelt zu lösen. Eine hoffentlich rosige Zukunft auf der Erde erfordert hingegen Wissen, technologischen Fortschritt und freies Denken. Der christlich motivierte Kreationismus hingegen fördert Unwissen und eine naive und unkritische Glaubensbereitschaft. Wohin auch immer sich die Kirche mit missionarischem Eifer in den vergangenen Jahrhunderten ausgebreitet hat, brachte sie schlimme durch den Menschen verursachte Umwelt-Katastrophen sowie unerträgliches menschliches Leid hervor. Ich will der Theologie daher die Fähigkeit einer konstruktiven Mitgestaltung unserer bedrohten Zukunft rigoros absprechen.

Viel interessanter ist doch die seriöse wissenschaftliche Diskussion, die beispielsweise die Frage aufwirft, inwieweit wir technisch überhaupt imstande sind, die zunehmende Erderwärmung einzudämmen. Welche Möglichkeiten hierzu werden diskutiert? Und ist es sinnvoll, von ihnen überhaupt Gebrauch zu machen? Der Autor, Claudio Caviezel ist Mitarbeiter im Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag und stellt aktuelle Konzepte eines Climate Engineerings vor. Zur Diskussion stehen demnach derzeit zwei Verfahren, um die zunehmende Klimaerwärmung künstlich abmildern zu können. Das Carbon-Dioxide-Removal (CDR) legt es darauf an, erhöhte Konzentrationen an CO2 „aus der Atmosphäre zu entfernen“. Eine Reduktion der eintreffenden Sonneneinstrahlung versprechen zudem die Verfahren des Radiation-Managements (RM).

Beide Verfahren sind derzeit noch nicht einsatzbereit und werden zunächst in Form von Computersimulationen getestet. Dabei wurden jedoch auch drohende Nebenwirkungen ersichtlich, die mitunter schwerwiegende ökologische Schädigungen zur Folge haben können. Aber auch drohende gesellschaftliche Konflikte lässt der Autor nicht unberücksichtigt. Verschiedene CDR-Ansätze existieren, am häufigsten jedoch wird die Möglichkeit diskutiert, die Ozeane mit Nährstoffen zu düngen, um die Biomasse an Algen erheblich zu erhöhen, die dann CO2 aus der Atmosphäre in beträchtlicher Weise binden könnten. Naheliegend ist allerdings die gut begründete Befürchtung, dass der künstlich hervorgerufene Erfolg bestimmter Arten den Misserfolg anderer Arten mit sich führen würde. Doch auch die Verbringung von Schwefelpartikeln in höhere Atmosphären-Schichten (eine Version des RM) führt zwar eventuell zu einer so starken Rückreflektion der Sonneneinstrahlung, dass die Erdoberfläche vor einer Überhitzung geschützt würde, jedoch wäre der Effekt nicht selektiv einsetzbar und könnte daher zu weitreichen klimatischen Veränderungen auf globaler Ebene führen. Außerdem hätte ein plötzliches Aussetzen der Technologie einen abrupten Klimaanstieg zur Folge, und zwar mit praktisch unkontrollierbaren Konsequenzen.

Doch auch negative geopolitische Konsequenzen beschäftigen den Autoren, denn das Climate-Engineering ermögliche es nur „potenten“ Staaten, dem Problem des Klimawandels entgegen zu arbeiten. Dabei seien sie nicht „auf die Kooperation mit oder die Zustimmung von anderen Staaten angewiesen. „Ein fundamentaler Gegensatz zur bisherigen Klimapolitik“, der zufolge nämlich in der globalen Gemeinschaftlichkeit die Emission von Treibhausgasen zu reduzieren sei.

Interessant ist zudem, dass die Thematik des Climate Engineering in der politischen und medialen Landschaft noch kaum bekannt ist, weswegen die differenzierte Einführung in diese neue Forschungsdisziplin durch den Autor Caviezel aus meiner Sicht wichtig für konstruktive Diskussionen um die globale Klimaerwärmung sein kann.

Der Erhalt einer stabilen Umwelt hängt natürlich auch von der Frage ab, wie viel Lebensraum künftig anderen Arten überlassen werden sollte, bzw. wie viel Platz wir selbst benötigen und einnehmen dürfen, ohne Klima und Artenvielfalt nachhaltig zu schädigen. Dieser Thematik nimmt sich Christina von Haaren an, deren Forschungsschwerpunkte unter anderem Umweltethik und Naturschutzkommunikation sind. Sie kommt zu dem Schluss, dass die Naturwissenschaften keine ausreichenden und daher verbindlichen Normen, insbesondere im Hinblick auf unsere Zukunft, liefern können. Daher würden gesellschaftliche Normen benötigt, die durch Volksvertreter in Form von Gesetzen zu verankern seien. Diese sind der Autorin zufolge so zu formulieren und zu begründen, dass sie für jeden Bürger „im Prinzip nachvollziehbar“ seien, „auch wenn die persönlichen Interessen im konkreten Fall konträr sein mögen“.

Kurz kommt sie sogar auf die Bedeutung der Religionen für den Umweltschutz zu sprechen. So schreibt von Haaren, es sei hilfreich, dass der Papst in seiner letzten Enzyklika von 2015 deutlich zum Umweltschutz aufrufe. Sie schlussfolgert aber: „Grundsätzlich müssen jedoch religiöse Begründungen nicht für alle Mitglieder unserer Gesellschaft im Prinzip nachvollziehbar sein“.

Abgesehen von seinem unverhältnismäßig starken Schwerpunkt in den Bereichen der Theologie, der immerhin gleich drei Kapitel füllt, ist das Buch „Die Welt im Anthropozän“ auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft und befasst sich in kontroverser Diskussion und aus den Blickwinkeln ganz verschiedener Wissenschaftsdisziplinen mit nichts Geringerem als unserer Zukunft auf der Erde. Die Lektüre bildet, ist gut verständlich und daher empfehlenswert.