Berliner Jobcenter: eine düstere Mauer, gegen die man sich verrennt, anstelle sinnvolle Unterstützung zu erhalten? Bürger hoffen auf das Bürgergeld

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Hochqualifizierte Alg-II-Empfänger

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Forschungsgelder in der Grundlagenforschung, zum Beispiel der Biologie im Bereich Systematik und Taxonomie, sind in der Merkel-Ära geschrumpft. Ellbogenmentalität und Bevorzugung des eigenen Nachwuchses durch Forschungsinstitute konnten dadurch nur wachsen. Einer der möglichen Gründe dafür, dass Hochqualifizierte sich als Freiberufler durchschlagen und gegebenenfalls aufgrund zu niedrigen Einkommens sogar durch Alg-II aufgestockt werden müssen.

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Abteilung für Selbstständige

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Für Selbstständige gibt es in Berlin eine eigenständige Abteilung. Das Procedere verlangt, dass der bedürftige Selbstständige mit der Antragstellung eine besondere Anlage, die Anlage EKS, mit einreicht. In Form einer Prognose müssen darin betriebliche Einnahmen und Ausgaben für den kommenden Bewilligungszeitraum eingeschätzt werden. Auf dieser Basis wird die vorläufige monatliche Alg-II-Zahlung für die folgenden sechs Monate festgelegt. Am Ende des Bewilligungszeitraums muss erneut eine Anlage EKS vorgelegt werden, die dieses Mal die tatsächlichen Einnahmen und Ausgaben aufführt. Daraufhin wird der engültig zugestandene Leistungsbetrag errechnet. Die Vorgehensweise kann zu Nachforderungen durch das Jobcenter führen.

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Hohe Nachforderungen durch Negieren notwendiger betrieblicher Ausgaben

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Wer glaubt, es sei ja wohl selbstverständlich, dass ein Naturfotograf und -Filmer Kamera-Equipment absetzen und damit Einkommen, die höher als zuvor geschätzt ausgefallen waren, relativieren könne, der irrt. Die Jobcenter möchten nämlich Geld zurück. Also heißt es: Das war aus betrieblichen Gründen nicht notwendig. Glauben Sie, liebe Leser, ja nicht, dass es Ihnen dann hilft, das letzte Profi-Unternehmen, mit dem Sie zusammengearbeitet haben, um eine schriftliche Bescheinigung zur Notwendigkeit technischer Anschaffungen zu bitten. Das Jobcenter kann dann nämlich meiner Erfahrung gemäß zwar die Argumentation für die Ablehnung der Ausgabe ändern, ersetzt sie in der Folge aber wacker und furchtlos durch ein scheinbar beliebiges anderes Argument und bleibt bei der Ablehnung. Betriebliche Ausgaben sind nicht gerne gesehen, da sie die Summe einer Nachforderung beträchtlich schmälern können. Da scheint der Behörde jedes Mittel recht.

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Verzichtserklärung

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Wenn man bereits die Erfahrung gemacht hat, dass das Jobcenter rigoros auf hohen Nachforderungen besteht, warum nicht einfach den Leistungsbezug vollständig beenden, wenn sich ein entsprechendes längerfristiges Einkommen durch Honorare angekündigt hat? So bliebe man schließlich nichts schuldig, sofern man auch für seine sozialen Kosten (wie der Krankenversicherung) selbst aufkommt. Oder? Nein, so einfach ist die Rechnung nicht! Es ist nämlich einem Selbstständigen nicht gestattet, vorzeitig aus dem bereits bewilligten Leistungszeitraum von sechs Monaten auszutreten. Er kann lediglich eine Verzichtserklärung einreichen. Obwohl er in der Folge keinerlei Zahlungen mehr erhält, bedeutet dies dennoch, dass Einnahmen nach der Verzichtserklärung mit denjenigen Monaten des Bewilligungszeitraums verrechnet werden, die vor dem Verzicht lagen. Theoretisch müssen jedoch zumindest weiterhin auch Betriebsausgaben und zum Beispiel die selbst übernommene Krankenversicherung absetzbar sein. In der Realität kann das jedoch zum Nachteil des Selbstständigen ganz anders aussehen, wie ich zu meinem Entsetzen selbst erleben musste.

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Beschwerdewege

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Wie wehrt man sich denn, wenn man das Gefühl hat, dass das Jobcenter zu Unrecht in Form von hohen Nachforderungen ordentlich zuschlägt, so sehr, dass man sich geradezu in existenzieller Gefahr wähnen muss? Mir liegen schriftliche Ausführungen sowohl der (theoretisch) zuständigen Berliner Senatsverwaltung wie auch des (theoretisch) zuständigen Bundesministeriums vor, aus denen hervorgeht, dass beide Organe nicht für die Überprüfung von Einzelfällen zuständig seien. Beschwerdewege seien innerhalb der Hierarchien von Jobcenter und Bundesagentur für Arbeit zu beschreiten. Als von der Bundesagentur unabhängige Organe, die angerufen werden können, wurden lediglich ein Petitionsausschuss (ich war mit meiner Petition vom Petitionsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses zum Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages weitergeleitet worden) und/oder das Sozialgericht benannt.

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Dienstaufsichtsbeschwerden

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Beschwerden innerhalb des Jobcenters oder der Bundesagentur seien zum Beispiel in Form von Dienstaufsichtsbeschwerden an vorgesetzte Stellen einzureichen, so wurde mir mitgeteilt. Tatsächlich, so meine Erfahrung, ist die übliche Beantwortung einer Dienstaufsichtsbeschwerde folgende: Zur Einleitung eines Dienstaufsichtsverfahrens ist ein persönliches Fehlverhalten eines Mitarbeiters notwendig… Nun gut, so denke ich mir, der Mitarbeiter hat ja zum Beispiel nachweislich zu Unrecht eine Aufforderung zur Mitwirkung verschickt, das wurde ja sogar zugegeben und mir eine Entschuldigung ausgespochen (die ich selbstverständlich nicht angenommen habe); also wende ich mich gleich an die Zentrale der Bundesagentur, wiederhole dort meine Dienstaufsichtsbeschwerde und verweise darauf, dass sich derlei Vergehen in meinem Falle so auffällig aneinanderreiht, dass ich nicht mehr von einem Zufall, sondern von Schikane ausgehen muss. Die Dienstaufsichtsbeschwerde wird dennoch abgeschmettert mit dem Argument, meine Ausführungen seien unsachlich.

Warum ist eine Dienstaufsichtsbeschwerde wichtig? Sie kann nicht als juristisch gültiges Rechtsmittel für das Opfer von Behördenwillkür eingesetzt werden, das heißt sie hat keine aufschiebende Wirkung, sollte es sich bei dem monierten Akt durch einen Behördenmitarbeiter beispielsweise um eine Aufforderung mit Fristsetzung, etwas beizubringen, handeln. Das Dienstaufsichtsverfahren richtet sich stattdesssen ausschließlich gegen den Mitarbeiter der Behörde, der sich fehlverhalten hat. Ist das Fehlverhalten nachgewiesen, muss der Mitarbeiter gegebenenfalls mit Sanktionen rechnen, bei denen es sich um personalrechtliche Konsequenzen handeln kann. Solche Karriere-relevanten Folgen können eine abschreckende Wirkung auf den betreffenden Mitarbeiter und seine Kollegen haben, was idealer Weise dazu führt, dass sich das gerügte Fehlverhalten nicht wiederholt.

Vor Jahren hat die Argentur für Arbeit ihre Mitarbeiterpforten auch für Bewerber mit niedrigeren Schulabschlüssen geöffnet. Es gilt gemäß meiner Lebenserfahrung, dass ein kurzer Bildungsweg den Zugang zu Erkenntnistheorien und ethischem Verantwortungsbewußtsein erheblich schlechter bereitstellt, als ein ein Abitur mit anschließender komplexer Ausbildung, wie zum Beispiel einem akademischen Studium. Daher muss es generell Maßnahmen geben, die verhindern, dass Mitarbeiter in Behörden, vor allem solche mit eher begrenzterem Bildungshorizont, glauben, ihre berufliche Position sei ein Freischein für eine willkürliche psychische oder indirekt sogar physische Mißhandlung und/oder Erniedrigung anderer Bürger. Es darf nicht geschehen, dass Personen, die mit sich selbst und/oder ihrem privaten Umfeld unzufrieden sind, ihre Frustration und ihre Wut ungefiltert auf den Kundenkreis der Behörde kanalisieren können, nur weil sie aufgrund ihrer Anstellung mit entsprechend weitreichenden Befugnissen ausgestattet wurden.

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Einstellung der Bundesagentur für Arbeit gegenüber den unabhängigen Organen Petitionsausschuss und Sozialgericht

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Die Jobcenter legen es meiner Erfahrung gemäß darauf an, dass der Leistungsbezieher, der klagen will, möglichst Fristen versäumt, was dazu führt, dass Klagen unzulässig sind. Die Jobcenter wissen, dass beispielsweise ihre willkürliche Ablehung von absetzungsfähigen Posten einem seriösen Gerichtsverfahren nicht standhalten würde. Bestreben der Behörde ist es daher, dass es aus formellen Gründen möglichst gar nicht erst zu einem Verfahren kommt. Gerne heisst es dann: Sie müssen trotz Ihres Klage-Wegs zahlen, da Ihre Klage offensichtlich unzulässig ist. Allerdings erfordert diese Strategie, dass entweder Sie selbst, lieber bedürftiger und selbstständiger Leser, oder das Gericht (im Vorfeld einer Verhandlung) dem zustimmen. Ist beides nicht der Fall, entscheidet alleine das Sozialgericht im Rahmen einer Verhandlung, ob die Klage zulässig ist oder nicht. So zumindest die Ausführungen eines Rechtsberaters, den ich konsultiert habe.

Doch die Inkasso-Abteilung der Bundesagentur schickt mir wacker Mahnungen, ich solle trotz laufender und meiner Einschätzung nach fristgerecht eingeleiteter und berechtigter Gerichtsverfahren zahlen. So beschwere ich mich bei der Zentrale der Bundesagentur, wo mir im Namen des Leiters der Bundesagentur mitgeteilt wird, meine beiden derzeit (in einem Fall schon deutlich mehr als über ein Jahr) ansässigen und sehr ausführlich begründeten Klagen seien offensichtlich unzulässig, des Weiteren wird im Schreiben der Sachbearbeiterin wild darüber spekuliert, welche gerichtlichen Hinweise das Gericht mir geschickt oder nicht geschickt haben könnte, dabei ganz ungeachtet der Tatsache, dass gerichtliche Hinweise nur für eine Partei bestimmt sind. Von einer offensichtlichen Unzulässigkeit meiner Klagen weiß ich jedoch nichts. Ich muss daher an dieser Stelle deutlich sagen, dass diese Reaktionsweise der Bundesagentur bei mir nichts anderes als den Eindruck erweckt, als halte sie nicht allzuviel von der Unabhängigkeit des Sozialgerichts. Was auf der anderen Seite verständlich ist, schließlich sind die Sozialgerichte insbesondere in Folge der Corona-Pandemie überlastet, Verfahren ziehen sich daher ewig in die Länge. Und wen benachteiligt dies? Natürlich die Bundesagenur mit ihren Jobcentern, denn die wollen und brauchen Geld, und zwar jetzt, sofort, und nicht etwa erst nächstes Jahr.

Und wie ist die Einstellung der Bundesagentur gegenüber dem Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags? Nun, auch der ist überlastet, auch hier zieht sich das Verfahren in die Länge. Und so darf es mich offenbar nicht verwundern, dass eine Jobcenter-Sachbearbeiterin der Beschwerdestelle für den Bereich Berlin/Brandenburg mein schon länger ansässiges Petitionsverfahren ohne jede geringste Form der Befugnis (über ein eindeutig externes und unabhängiges Organ zu entscheiden) in einem postalischen Schreiben an mich ein für allemal für beendet erklärt. Na, offenkundiger kann ein Fehlverhalten ja gar nicht sein, so denke ich mir und reiche eine Dienstaufsichtsbeschwerde bei der Zentrale der Bundesagentur ein, gerichtet an die Leitung persönlich. In deren Namen teilt mir die zuständige Sachbearbeiterin mit, dass sie mir zustimme, die Beendigung eines Petitionsverfahrens obliege allein dem Petitionsausschuss. Meine Dienstaufsichtsbeschwerde allerdings nimmt sie nicht an. Ein nachvollziehbarer menschlicher, aber nicht fachlicher, Fehler wird angedeutet, schließlich sei die Behörde schon lange nicht mehr durch den Petitionsausschuss kontaktiert worden. Daraus könne man ja schon fälschlich schlussfolgern, dass es das Verfahren gar nicht mehr gäbe. Mein anschließender Verweis darauf, dass die betreffende Mitarbeiterin ja auf mein Schreiben reagiert hatte, in dem ich deutlich auf das noch laufende Petitionsverfahren verwies, und dass ich daher eher den Eindruck gewonnen habe, als solle mir die Allmacht und Unangreifbarkeit der Bundesagentur vorgeführt werden (was ein eindeutiges und unverzeihliches Fehlverhalten sei), führte zu einer Antwort, die der Leser wahrscheinlich bereits erraten hat: Meine Dienstaufsichtsbeschwerde sei unsachlich. Abgelehnt.

Selbst Berliner Häuser runzeln erstaunt die Stirn, erst recht, wenn sie das DDR-Unrechtssystem persönlich miterlebt haben.

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Bürgergeld

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Die Bundesregierung hat die Einführung eines sogenannten Bürgergelds angekündigt. Dies solle höhere Leistungen, bessere Möglichkeiten hinzuzuverdienen und eine Begegnung der Behörde auf Augenhöhe mit den Kunden beeinhalten. Böse Zungen haben bereits spekuliert, dass sich schlimmstenfalls unterm Strich gar nichts ändere, es sich also um eine bloße Umetikettierung handle.

Ich erhoffe mir vor allem, dass Arbeits-und Verdienstbestreben künftig nicht wie bislang bestraft, sondern gefördert werden. Der durch die Regierung öffentlich gemachte Entwurf zum Bürgergeld widmet sich allerdings oft dem Personenkreis, der aus einem Anstellungsverhältnis zunächst im Arbeitslosengeld I landet und mangels neuer Anstellung dann zu Alg-II abrutscht. Ich jedoch bin der Ansicht, dass vor allem Selbstständige eine bessere Behandlung erfahren müssen. So sollte es meiner Ansicht nach möglich sein, den Leistungsbezug jederzeit freiwillig vollständig zu beenden, also auch inmitten eines Leistungszeitraums. Es sind mehr unabhängige Kontrollgremien notwendig, ausserdem muss es der Bundesagentur und den Jobcentern erheblich erschwert werden, mit Hilfe von Fristsetzungen und ähnlich bürokratischen Vorgehensweisen zu verhindern, dass Gerichtsverfahren sich mit Inhalten befassen. Nachweisliche Willkürhandlungen von Behördenmitarbeitern müssen zudem umgehend scharf sanktioniert werden, um die Rechtsstaatlichkeit dieser Sozialbehörden für die Zukunft zu gewährleisten.

Copyrights Stefan F. Wirth, Berlin 7.Mai 2022